D ie Ware, die aus dem Ofen von „The Bakery“ im Münchner Werksviertel am Ostbahnhof kommt, ist heiß. Gebacken bei 80 Grad. Einsatzbereit nach 24 Stunden. Wo? Im Schnee. Johannes Nissen-Meyer und Michael Mardofel fertigen in ihrer Manufaktur Snowboards mit einem Kern aus Bambus, nachhaltig sozusagen. Und glaubt man den Machern, sind die Bretter mit den ungewöhnlichen Shapes Zucker für den Powder.
Drei Jahre haben der Physiker Johannes, 32, und der Medientechniker Michael, 30, an ihren Boards getüftelt. „Da ist es schon von Vorteil, wenn die Berge für eine Testfahrt vor der Tür liegen“, sagt Michael. Jetzt sind die Bio-Bretter „handcrafted in Munich“ reif für den Markt. Auf der Sportfachmesse Ispo wird sich zeigen: Machen sich die Jungs mit „Horst“ – wie eines der Modelle heißt – zum Deppen? Oder starten sie auf der Piste so richtig durch?
Fragt man Branchenkenner, sieht die Sache eher nach Talfahrt aus. Denn Snowboarden ist out. Die einst boomenden Industrie steckt in der Krise. Die US-Firma Burton, die durch das Massenphänomen Ende der 90er groß wurde, hat inzwischen sogar Camping-Kollektionen im Sortiment. Andere Hersteller wie Atomic oder Völkl haben die Produktion gleich ganz eingestellt. Nicht mal aktuelle Absatzzahlen gibt es. „Wir erheben keine Marktanalysen für Nischenmärkte“, sagt Nicole Espey vom Bundesverband der Deutschen Sportartikel-Industrie (BSI).
Warum der Hype, der einst eine ganze Generation prägte, zu Ende ist? „Weil sich die Skitechnologie in den vergangenen Jahren weiterentwickelt hat und viele junge Leute vom Snowboard wieder auf den Ski umgestiegen sind oder gar nicht erst mit Snowboard angefangen haben“, erklärt Espey.
Mit den neuen Modellen wie Rocker oder Carver seien die Fahrer gerade in Funparks viel beweglicher und flexibler. Und auch sonst sind zwei Bretter an den Beinen von Vorteil. „Ziehwege sind jedem Snowboardfahrer ein Gräuel“, sagt Espey. Das Zielpublikum für Snowboards? „Gibt es eigentlich nicht mehr, weil der Trend zu Ende ist. Wenn überhaupt, dann Teenager oder Twens – aber wie gesagt – nicht der Rede wert.“
Doch Johannes Nissen-Meyer und Michael Mardofel sehen die Sache völlig anders – und in der Krise der Branchenriesen gerade die Chance für kleine Manufakturen. „Gerade jetzt können wir uns etablieren“, sagt Johannes. Der Markt habe sich stabilisiert, wenn auch auf niedrigerem Niveau. „Früher kaufte jeder ein Snowboard, auch wenn er nur einmal im Jahr draufstand. Heute fahren nur noch diejenigen, die wirklich für den Sport brennen.“
Gerade diese Enthusiasten wollen die jungen Gründer bedienen – mit Brettern, die nicht in China, sondern in München gemacht werden. Die sich nicht nur im Design, sondern auch im Fahrgefühl und den verwendeten Materialien von der Massenware unterscheiden.
Damit sind sie nicht allein: Schon länger etablieren sich neben den Großkonzernen Snowboard-Kaderschmieden aus der Szene heraus, die authentische, hochwertige Produkte entwickeln. In Oberbayern sitzt zum Beispiel Snowboard-Pionier Peter Bauer mit seiner Firma „Amplid“ in Fischbachau am Ammersee entwickelt „Good Boards“ kleine Serien – produziert wird allerdings in der EU. „Wir geben uns Tipps und tauschen uns aus“, sagt Michael. Ellenbogenmentalität gibt es nicht.
Den Brettl-Bäckern aus München ist der grüne Fußabdruck im Schnee ein Anliegen. „Wintersport hängt direkt mit dem Klima zusammen, darum ist es uns wichtig, nachhaltig zu produzieren“, sagt Johannes. Der Kern der Bakery-Boards, ist nicht wie üblich aus Pappelholz, sondern aus biegsamem Bambus.
„Er hat ideale Eigenschaften und wächst etwa zehnmal so schnell nach wie reguläres Holz.“ Die Glasfasern, die den Kern ummanteln, sollen bald durch Flachsfasern ersetzt werden. Das Epoxid-Harz – mir dem die sieben einzelnen Schichten verklebt werden – wird mit einem hohen Anteil an biologischen Rohstoffen hergestellt.
Schon länger verfolgt die Szene auf Instagram und Facebook, was die Freunde in ihrer Werkstatt treiben. Aufmerksamkeit ist ihnen sicher: Gerade nahm das Münchner Fair-Trade Label „ThokkThokk“ ein Brett mit auf die Fashionweek. Der Bayerische Rundfunk filmte, wie eine Boarderin unter Anleitung hier ihr eigenes Brett schreinerte.
Oft schneien interessierte Leute aber auch einfach auf dem ehemaligen Pfanni-Gelände vorbei. So wie der Entwickler der US-Snowboardmarke „Nitro“ oder der Gründer von „Signal Snowboards“. „Nachdem wir letztes Jahr ein Brett auf dem Nachhaltigkeitsstand der Ispo gezeigt hatten, sprach sich das bei den großen Firmen rum“, erzählt Michael.
Offiziell verkauft wird aber erst seit wenigen Monaten: Seit Oktober kann bei den Bäckern bestellt werden. Der bislang prominentester Kunde kommt aus dem Fußball. Hoffenheim-Trainer Julian Nagelsmann – der bereits als nächster Coach des FC Bayern gehandelt wird – hat gerade ein maßgeschneidertes Board geordert.
Bis die Freunde sich das erste eigene Brett unter die Füße schnallen konnten, war es allerdings ein harter Weg. „Anfangs war es eher ein Hobby. Ich wollte immer schon mal ein Board selbst bauen und hab mir in den Communitys viel angelesen – und beim Ausgehen dann Michi überzeugt,“ sagt Johannes.
Als eine halbe Tonne Stahl für die selbst konstruierte Presse vor der Tür lag, war endgültig klar: Es wird ernst. Auf ihren Backofen – wie sie die Presse nennen – sind die beiden besonders stolz. Er ist schließlich der Namensgeber für die Manufaktur. „In ihm werden die Schichten bei rund 80 Grad und 40 Tonnen Druck zusammengepresst“, sagt Michael.
Monatelang haben sie getüftelt. „Dafür hab ich meine Erstsemester-Unterlagen rausgeholt“, erzählt Johannes, der gerade seine Promotion abschließt. Zwischendurch ging die Motivation aber schon mal flöten. „Bei den ersten Modellen haben wir die Kerne im Hobel zerlegt oder die Boards haben sich total verzogen“, erinnert sich Michael, „ich war zeitweise kurz davor aufzugeben.“ Am Ende hat er nur eine Sache hingeschmissen – seinen Job. Um die Produktion voranzutreiben.
Schon jetzt kommen sie kaum hinterher, legen Nachtschichten ein. „Wir schicken den Kunden von jedem Arbeitsschritt ein Foto“, erzählt Michael. Neben den Customized-Boards, die völlig nach den Wünschen der Kunden angefertigt werden, gibt es drei Serienmodelle ab 599 Euro: für Tiefschnee und Carven, die Piste oder den Funpark.
Das Jibboard „Horst“ hat seinen Namen übrigens per Facebook-Abstimmung bekommen. „Das passt, denn mit ihm kann man viel Quatsch machen“, sagt Johannes. Und weil Snowboarder Individualisten sind, kann das Design für das Topsheet, also die Folie auf der Vorderseite, selbst entworfen werden. Vom nackten Männerhintern bis zur Kinderzeichnung gab’s schon alles.
Auf der Ispo haben sie zwei neue Prototypen im Gepäck. Das Splitboard können Tourengeher der Länge nach in zwei Skier teilen und so über schneebedeckte Hänge aufsteigen. Für die Wellenreiter unter den Wintersportlern gibt es ein Modell, das von Form und Fahrgefühl einem Surfbrett ähnelt.
Damit sind Johannes und Michael auf der richtigen Fährte. „Die Entwicklung geht hin zu kürzeren Brettern und Tiefschneeboards, die Betonung liegt auf Carving und spielerischen Formen,“ sagt Tobias Gröber, verantwortlich für die Ispo-Gruppe bei der Messe München. Aus den Bäckern könnten also durchaus Gipfelstürmer werden.
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