Die Büttenpapierfabik hat Bismarck und den Zweiten Weltkrieg überlebt. Am EEG 2023 könnte sie scheitern - wegen der gefährdeten Wasserkraft und dann höheren Energiekosten.
Gmund – „Wenn uns die Politik gezielt rausdrängen will, wird es schwierig“, sagt Florian Kohler. Dem Chef in vierter Generation liegt viel am Standort Gmund. Seine Papierfabrik sei die weltweit einzige, die über 50 Prozent ihres Energiebedarfs emissionsfrei mit Wasserkraft decke. Und: In sieben Jahren wäre die Papiermühle 200 Jahre alt. Doch ob es sie dann noch gibt, ist unklar.
Wie im überregionalen Teil berichtet, sollen kleine Wasserkraftwerke in Deutschland keine EEG-Förderung mehr bekommen – so präsentierte es Robert Habeck, Bundeswirtschaftsminister (Grüne). Das träfe Kohler hart, denn der Betrieb seiner drei Wasserkraft-Anlagen an der Mangfall relativiert für ihn teilweise die hohen Strompreise in Deutschland.
Kohler, schmales Gesicht, runde Brille, kariertes Hemd, hat Sorgenfalten auf der Stirn. Während draußen die Mangfall rauscht, beteuert er: „Wir laufen nicht in ein paar Wochen weg.“ Er wolle mit der Papierfabrik in Gmund bleiben. „Wir kämpfen dafür“, wiederholt er und haut mit beiden Fäusten auf den Tisch. Ihm gehe es auch um das Signal der Regierung. Während der französische Staat sein zweites Standbein, die Cartonnerie Jean FG, unterstützt, würde die Büttenpapierfabrik mit dem EEG 2023 „im Kern getroffen“. Warum, versteht er nicht.
Frank Thinnes, Technischer Leiter beim E-Werk Tegernsee, geht es ähnlich. Die beiden hauseigenen Wasserkraftwerke produzieren zusammen 2000 Megawattstunden jährlich, sagt er. Das entspricht – gemessen an Zahlen des Vergleichsportals Verivox – dem Verbrauch von 557 bayerischen Durchschnittshaushalten. Thinnes will keine Zahlen nennen, erklärt aber, mit dem Erlös müssten alle Kosten gedeckt werden. „Der Rechenreiniger, die Wehre, die Stauanlagen.“ Ohne EEG-geregelte Vergütung bekomme das E-Werk voraussichtlich weniger Geld, da bei der Direktvermarktung (siehe Kasten) weniger bezahlt werde. „Eine gewisse Zeit könnten wir das verantworten – aber langfristig müssten die Wasserkraftwerke wohl schließen.“ Bei zwei Prozent des vom E-Werk verkauften Stroms sei das kein Untergang. Auch könnte das Werk durch zugekaufte Zertifikate anderer Naturstromanbieter weiterhin Strom aus Wasserkraft verkaufen.
„Aber die Kilowattstunden, die vorher da waren, fallen einfach weg“, sagt Thinnes. „Es geht um die Vernichtung bestehender Infrastruktur.“ Sie würde ohne Not auch hauptberufliche Kraftwerksbetreiber in den Ruin treiben.
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Die „pauschalen Behauptungen“ von Naturschutzverbänden, kleine Wasserkraft würde mehr schaden als nutzen, nennt Thinnes „nicht akzeptabel“. In vielen Turbinen würden Fische „Karussell fahren, ohne Schaden zu nehmen“, andere seien bis zu einer gewissen Größe komplett fischsicher. „Mit der aktuellen Gesetzesvorlage sehen wir uns in die Enge getrieben“, betont der Technische Leiter des E-Werks. Kleine Wasserkraftanlagen seien Teil der Energiewende – „und nicht deren Gegenspieler“.
Dem schließt sich Kohler an. Auch er betreibt seine Anlagen aus Überzeugung: „Wasserkraft ist etwas Schönes.“ In einem Rundgang zeigt er auf mehr als pfannengroße Bachforellen unterhalb einer Wasserkraftanlage in der Mangfall. Fische würden hier nicht getötet, wegen engmaschiger Gitter vor dem Einlauf. Auch Plastik werde aus dem Fluss gefiltert – „ein Surfbrett, jede Menge Flaschen und anderer Schrott“. Vor Hoch- und Niedrigwasser schützen seine Kraftwerke ebenfalls, sagt Kohler, „weil wir das gleiche Interesse wie die Anwohner haben: gleichmäßige Pegelstände“.
Karl Bär, Grünen-Wahlkreisabgeordneter im Bundestag, bestätigt, kleine Kraftwerke seien „gesellschaftlich gut akzeptiert“ und erzeugen „meist lokale Wertschöpfung“. Es gebe gute Gründe gegen Kleinwasserkraftwerke. Aber: „Jede Kilowattstunde, die wegfallen würde, müsste ersetzt werden.“ Der Regierungsentwurf gewichte naturschutzfachliche Nachteile höher als den Beitrag an der Stromerzeugung. Bär gewichtet das „nicht so“. Er kann sich eine Regelung wie im EEG bis 2014 vorstellen: Betreiber wurden damals zu gewässerökologischen Standards gedrängt.
Einschränkend erklärt Bär, der Entwurf sehe vor, „dass Wasserkraft bis 500 kW bei Modernisierung oder Neubau keine EEG-Förderung mehr erhält“. Es gebe also nicht sofort kein Geld mehr, Kleinanlagen würden aber sukzessive aufgegeben. „Wir können es uns momentan nicht leisten, kleine Wasserkraftwerke abzuschalten“, betont er. Die bayerische Landesgruppe setze sich für regionale Belange ein. „Ich kann aber nicht versprechen, dass das immer auch erfolgreich ist.“
Wer ein Wasserkraftwerk betreibt und über das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gefördert wird, kann Strom zu einer Vergütung in festgelegter Höhe ins Netz einspeisen – die Einspeisevergütung. Das beispielsweise für Florian Kohler zuständige E-Werk Tegernsee ist aufnahmepflichtig, muss den produzierten Strom der Büttenpapierfabrik also kaufen. Dafür zahlt das E-Werk die EEG-Einspeisevergütung in Höhe von 12,46 Cent pro Kilowattstunde an Kohler aus.
Die Kosten für den so eingekauften Strom gibt das E-Werk an den Übertragungsnetzbetreiber, die Tennet, weiter, der den Strom wiederum an der Börse anbietet. Dort erzielt der Strom jedoch in den meisten Fällen einen geringeren Erlös, als den, Preis, der an Kohler bereits ausgezahlt wurde. Diese Deckungslücke bekommt der Übertragungsnetzbetreiber über die EEG-Umlage finanziert. Sie wird über die allgemeinen Strompreise von den Stromvertrieben erhoben. Nur über die so ermöglichte EEG-Einspeisevergütung, bestätigt Kohler, kann er die Kosten für seine Wasserkraft decken.
Würden Wasserkraftanlagen bis 500 kW nicht mehr über das EEG gefördert, bliebe Kohler und anderen die Direktvermarktung des Stroms an der Börse. Frank Thinnes, Technischer Leiter des E-Werks Tegernsee, rechnet jedoch auch künftig damit, dass dort niedrigere Preise erzielt werden, als die Einspeisevergütung nach dem EEG betragen hätte.
In der Folge reichen die Erlöse möglicherweise nicht mehr, um die Kosten zu decken – und kleine Wasserkraftwerke müssten aus wirtschaftlicher Sicht in diesem Fall schließen. Das betrifft im Tegernseer Tal die beiden Wasserkraftwerke, die das E-Werk Tegernsee betreibt, die drei Anlagen von Kohler und eine Anlage der Familie Pauli in Gmund.
Da die Papierfabrik nur außerhalb der Betriebszeiten, etwa am Wochenende oder in den Betriebsferien, Strom einspeist – während des Betriebs verbraucht ihn die Fabrik selbst – fehlt die Einspeisevergütung rechnerisch an über zwei von sieben Wochentagen (rund 30 Prozent). „Das ist viel“, sagt Kohler. Wasserkraft sei personal- und kostenintensiv. Wegen der hohen Strompreise gehe es auch um den Wirtschaftsstandort Gmund für die Fabrik. nap
Auch in Holzkirchen hadern private Wasserrad-Besitzer mit dem drohenden EEG-Entfall. Sie hatten 250.000 Euro in die Anlage investiert.
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