Schnellste Windsurferin der Welt – für eine Woche durfte sich Heidi Ulrich so nennen. Die Flüelerin erzählt von ihren Ambitionen und dem winterlichen Training auf dem Urnersee.
37,16 Knoten im Durchschnitt, rund 69 Kilometer in der Stunde – so schnell bretterte Heidi Ulrich vor zwei Wochen in Frankreich mit ihrem Windsurfbrett die Küste von La Franqui entlang. Damit holte sich die 34-jährige Flüelerin beim Wettkampf «Prince of Speed» den Weltrekord im sogenannten «Speedsurfing» und überholte damit die bisherige Rekordhalterin, die Britin Zara Davis (unsere Zeitung berichtete am 19. Juli).
Schnellste Windsurferin der Welt durfte sie sich jedoch nicht lange nennen. Denn bereits eine Woche später holte sich ihre Rivalin Davis den Titel zurück – mit blossen 0,24 Sekunden Vorsprung. «Mit so knappem Abstand einen Weltrekord-Titel wieder aus den Händen geben zu müssen, ist bitter», sagt Ulrich. «Besonders dann, wenn man bedenkt, dass die Disziplin auf der Länge einer nautischen Meile respektive von 1,8 Kilometern gesurft wird.» Sie habe versucht, die Spitzenzeit nochmals zu toppen. «Leider waren die Windverhältnisse nicht mehr optimal», so Ulrich. Die Speedsurferin ist dennoch stolz auf ihre Leistung. «Zwölf Jahre hielt Davis den Rekord und blieb bis zu meiner Fahrt ungeschlagen», sagt die gebürtige Steinerin.
Wer solche Spitzenzeiten hinlegt, wird wahrscheinlich schon seit der Kindheit auf dem Surfbrett stehen – müsste man annehmen. Doch die begeisterte Outdoor-Sportlerin hat das Windsurfen erst 2012 entdeckt. «Durch meinen damaligen Freund, den Bruder meines Brettsponsors, bin ich auf den Geschmack gekommen», erklärt Ulrich. «Es hat mich sofort gepackt, auch wenn ich anfangs noch Mühe hatte.» Denn Windsurfen sei für Einsteiger alles andere als einfach. «Weil ich eine uralte, pinke Schwimmweste erhielt und anfangs mehr im Wasser schwamm als auf dem Brett stand, wurde ich von meinen Surfkollegen als Boje benutzt, indem sie um mich herumsurften», erzählt sie mit einem Lachen. Mit viel Training und vor allem Willenskraft schaffe man es aber irgendwann aus diesem Stadium heraus, schliesslich wolle man nicht für immer die schwimmende Boje bleiben.
«Ich bin nicht gerne nicht gut in etwas», gesteht die ehrgeizige Sportlerin. «Darum habe ich von Beginn an sehr intensiv trainiert.» Die schnellen Fortschritte verdanke sie nicht zuletzt auch ihrem Wohnort. Zusammen mit ihrem Freund, Christan Arnold, der im Übrigen ebenfalls nationaler Rekordhalter im Speedsurfen ist, wohnt sie in Flüelen, direkt am See. In zwei Räumen am Wasser haben die beiden ihre Ausrüstung gelagert. «Stimmt der Wind, können wir sofort aus dem Haus und das Material bloss noch ins Wasser ziehen», erklärt Arnold. So habe der Seeanstoss auch einen wertvollen Vorteil, was das Training anbelange.
«Das Trainingsgelände auf dem Urnersee ist phänomenal», betont Heidi Ulrich. «Uri ist ein Paradies fürs Windsurfen.» Verantwortlich dafür sei vor allem der beständige Wind, der regelmässig über den See zieht. «Wenn es die Zeit zulässt und die Windverhältnisse stimmen, sind wir jeden Tag auf dem Wasser – selbst im Winter», erklärt Ulrich. Bei den eisigen Temperaturen seien sie aber jeweils die einzigen Surfer auf dem Wasser. «Gegen die Kälte kann man sich zwar mit einem dickeren Neoprenanzug schützen», so Ulrich. «Doch es braucht schon einige Nerven, bei Minustemperaturen und einer eisigen Bise auf dem See zu sein.»
Auch wenn Uri alles bietet, um Windsurfer glücklich zu machen: Den Weltrekord im Speedsurfen auf dem Urnersee hinzulegen statt auf dem Meer, das wäre dennoch nicht möglich. Zwar ist zwischen dem Campingplatz in Flüelen bis zur Isleten die optimale Distanz der nautischen Meile gegeben, und auch die Windstärke des Föhns würde passen. «Die Wellenbildung ist jedoch zu gross, was für mehr Reibung und weniger Geschwindigkeit sorgt», erklärt die Topsportlerin. So müsse der Einfallswinkel des Windes auf die Segel stimmen, der Wind dürfe nicht zu böig sein und die Wasseroberfläche nicht zu rau. «Mehr Wind bedeutet deshalb nicht mehr Speed», sagt Ulrich.
Für ihre Leidenschaft ist die Geschwindigkeitsfanatikerin zusammen mit ihrem Freund auch viel auf Reisen. In typischer Surfermanier touren die beiden dann in einem VW-Bus die Küsten entlang, um nach den perfekten Verhältnissen Ausschau zu halten. Dennoch sei das Surfer-Leben nicht immer so «easy peasy», wie man es etwa aus Filmen kenne: «Gerade Speedsurfen ist oft ein regelrechter Krampf», sagt Ulrich. «Es braucht sehr viel Kraft in den Beinen und Armen, um das Segel in Position zu halten.» Darum packt sie teilweise auch zusätzlich Blei an den Rücken, um im Gleichgewicht zu bleiben. Ins Fitnesscenter geht Ulrich hingegen nicht: «Tägliches Windsurfen ist Training genug», betont sie.
Heidi Ulrich arbeitet in einem 100-Prozent-Pensum in einer Zürcher Firma. Dass nach der Arbeit noch Zeit zum Surfen bleibt, verdankt sie flexiblen Arbeitszeiten – und ihrem Freund Christian Arnold, der dieselbe Leidenschaft teilt. «Kennengelernt haben wir uns vor zwei Jahren auf dem Urnersee», erinnert sich Ulrich. «Beim Vorbeisurfen habe ich ihm zugewinkt.»
Die beiden Extremsportler wollen es in diesem Jahr nochmals wissen. So werden sie Mitte August zusammen nach Silvaplana an die Schweizer Meisterschaften reisen und im Herbst vielleicht nach Namibia zum Weltrekordversuch über 500 Meter, den ebenfalls Zara Davis hält – noch. Denn dort wird sich zeigen, ob die schnellste Windsurferin der Welt nicht doch wieder aus dem Urnerland kommt.