Big-Wave-Surfer Sebastian Steudtner über Hai-Attacken, Arbeit am Bau, Angst vor Schlangen und den Münchner Eisbach
München – Wenn es irgendwo auf der Welt allerhöchste Wellen schlägt, dann ist Sebastian Steudtner mit seinem Surfbrett zur Stelle. Der 31-Jährige war der erste Europäer, der den „XXL Big Wave Award“ gewann, 2015 wiederholte er diesen Coup von 2010. Im April wird der Champion 2017 gekürt, und erneut zählt der Laureus-Botschafter zum Kreis der Aussichtsreichsten. In unserem Interview erklärt er, was ihn an über 20 Meter hohen Wassermassen so fasziniert.
-Herr Steudtner, in Esslingen am Neckar geboren, in Nürnberg aufgewachsen, Mama aus Wien – all diese Orte eint: Das Meer ist nicht gerade ums Eck. Wie kamen Sie zur Surf-Leidenschaft?
Als ich das Laufen gelernt habe, waren wir im Freibad. Ich kann mich ja nicht erinnern, aber meine Mutter erzählt das immer so: An dem Tag schaffte ich gerade den Übergang vom Krabbeln so zum Gehen, oder besser: Wackeln. Mein erster Weg war zum Beckenrand – und schwups, sprang ich ins Wasser. Meine Schwester sah das, schrie, sie dachte, ich ertrinke, schwimmen konnte ich ja nicht. Mein Papa zog mich raus, aber ich rastete aus, ich wollte drinbleiben. Ich hatte instinktiv die Luft angehalten und bin herumgetaucht. Papa brachte in den Tagen danach Zinnsoldaten mit, die ich dann hochgetaucht habe. Ich war von Anfang an mit dem Wasser besonders verbunden. Es ist mein natürliches Element.
-Große Wellen gibt es aber auch im Freibad nicht.
Mit neun Jahren waren wir in Frankreich das erste Mal am Strand. Ich dachte, ich bin im Paradies – das Element, die Wellen, das Salzwasser! Klar habe ich mir sofort ein Surfbrett gesucht. Als wir zurück in Nürnberg waren, wusste ich, was ich in meinem Leben machen möchte: Surfen.
-Sie gingen dann mit 16 nach Hawaii. Ohne Familie, allein. Wie schwer war das?
Seit ich 13 war, hatte ich da auf meine Eltern eingeredet. Es ist kurios: In der Schule hatte ich im Schullandheim Heimweh. Bei Hawaii war es so: Ich packte meine Sachen, flog alleine da hin, kannte niemanden – und hatte nicht einen Tag Heimweh. Ich konnte jeden Tag an dem Strand surfen, an dem auch die ganzen Ikonen sind, die ich aus den Magazinen kannte. Ich war absolut frei.
-Nun ja, ganz so leicht ist es wohl nicht gewesen: Man braucht Geld, Sie hatten keine Sponsoren.
Ich wurde im Windsurfen relativ schnell gut. So bekam ich zu Beginn schon schnell Sponsoren. Gut, ich konnte mir davon keine Villa leisten, aber meinem Sport nachgehen und leben. Dann habe ich erstmals „Jaws“ brechen sehen, die größte Welle damals. Und ich lernte den Hawaiianer Nelson Armitage kennen, eine Ikone. Der dachte sich am Anfang: Das deutsche Würstchen will große Wellen surfen? Aber er brachte es mir bei. Als ich in einem Interview dann mal sagte, ich möchte die größten Wellen der Welt reiten, reagierte die Szene wie bei einem Schlag ins Gesicht: Ich war Deutscher, ein Außenseiter, ein Krischperl, das nichts mit der Kultur des Surfens zu tun hatte! Das war ein Skandal. Als hätte ein Jamaikaner in Österreich der „Kronen-Zeitung“ gesagt, er werde die Streif bezwingen, obwohl er gerade das erste Mal Schnee gesehen hat. Da würde die Ski-Szene auch aufheulen. Und die Surfer sind speziell, haben strenge Hierarchien. Alle Sponsoren wandten sich ab.
Armitage nahm mich in seinen Clan, in seine Familie auf. Damit hatte ich einen gewissen Schutz, denn mit denen wollte sich keiner anlegen. Aber da waren auch ein paar schwere Jungs. Ich hätte auf eigenartigen Wegen Geld machen können, bin aber nicht so erzogen worden. Ich entschied mich für Arbeit. Vier Jahre habe ich Swimmingpools betoniert, von 2004 bis 2008. Ich kann mich heute voll aufs Surfen konzentrieren, jeden Tag. Damals habe ich zehn, zwölf Stunden pro Tag am Bau gearbeitet – und bin nur fünf Tage im Monat gesurft. Ich habe viele Wellen verpasst. Das tat schon weh.
-Wie kann man sich denn heute konkret Ihre Suche nach den großen Wellen vorstellen? Wartet man, wo der nächste Hurrikan das Meer aufwirbelt?
Wir sind jeden Tag im Wasser, auch bei kleinen Wellen. Zudem ist Kraftsport für die Beine wichtig, ähnlich wie bei Skifahrern ist das elementar. Wir wissen in der Regel circa acht Tage vorher, wenn etwas Großes kommt. 48 Stunden vorher kann man es dann exakt vorhersagen. Wir haben in Nazaré, Portugal, unsere Basis, aber im Zweifel muss es logistisch schon sehr schnell gehen. In Marokko neulich waren wir mit zwei großen Booten, sieben Jet-Skis, x Geländewägen – und das alles war binnen vier Tagen auf die Beine gestellt.
-Wie schwer ist die Finanzierung des Ganzen?
Bei mir war es sehr schwer, Sponsoren zu finden. Ich habe in Amerika nicht gepasst, weil ich Deutscher bin, ich passe in Europa nicht, weil ich Amerika-geprägt bin. Die Medien haben mich hier anfangs abgestempelt: „Der mit dem Tod surft“ oder „Surfer in der Todeszone“ oder „Mit einem Bein unter der Welle“ – das sind alles Motive, mit denen ich nichts anfangen kann und die auch genau das Gegenteil der Wahrheit sind. Ich gehe mit Leidenschaft an diesen Sport, aber ich plane alles genau, Strukturen sind wichtig. Mich fasziniert, als ein kleiner Mini-Mensch in einer Riesen-Welle zu bestehen – aber nicht, weil ich den Kick suche oder sogar brauche. Mich interessiert das kalkulierte Risiko. Dass das alles funktioniert am Ende. Da bin ich dann wohl wieder sehr deutsch (lacht). Mittlerweile habe ich aber die nötige Lobby, in der Szene und bei den Medien. Früher konnte mit mir keiner so richtig was anfangen.
-Im letzten Jahr sorgte ein Vorfall mit einem Hai dafür, dass der Surfsport in den Fokus rückte. Ihr Kollege Mick Fanning – dreifacher Weltmeister – überstand eine Attacke in Südafrika unverletzt. Wie geht man mit so einer permanenten Gefahr in den Wellen um?
Ich glaube, es ist eine Charaktersache. Schauen Sie zum Beispiel diese Situation mit Mick an: Julian Wilson war auch im Wasser, und er paddelte zu Mick und dem Hai, anstatt sich ans Ufer zu flüchten. Trotz aller Konkurrenz sind wir Surfer eine Familie. Nur: Hätte der Hai Mick erwischt und es wäre Blut im Wasser gewesen, wäre Julian wohl nicht hingepaddelt – das wäre ja Wahnsinn gewesen. Unsere These ist, dass der Hai Mick abchecken wollte. Da reibt sich das Tier am Brett, nur muss er sich in dem Fall wohl in der Fußleine verfangen haben. Verbeißt sich der Hai ins Brett, haut man ihm auf die Nase, bis er wieder loslässt.
-Kann man sich auf so einen Vorfall vorbereiten?
Nein. Das ist wie bei einem Autounfall, bei dem man als Ersthelfer ankommt: Der eine weiß automatisch, was zu tun ist, der andere verfällt in Panik. Aber wir trainieren die ganze Zeit, Gefahren zu minimieren. Ich habe immer einen Arzt am Strand, der mich binnen fünf Minuten stabilisieren kann, wenn die Lunge voller Wasser oder das Genick gebrochen ist. Jet-Skis sind immer in der Nähe, um zu helfen. Wir sind alle keine verrückten Adrenalinjunkies, denen es egal ist, ob sie leben oder sterben. Wir sind kalkulierende Extremsportler.
-Sie selbst hatten gleich zu Beginn, mit 16, frisch auf Hawaii, Ihr erstes Hai-Erlebnis. Wie lief das ab?
Es war für mich das erste Mal, dass ich eine Flosse gesehen habe. Nicht bloß im Fernsehen – das ist etwas anderes. Es war ein trüber Tag, trübes Wasser, Regen. Ich musste meinem Zeug hinterherschwimmen, und plötzlich war da diese Flosse – zwischen mir und der Küste! Da schluckst du, aber es hilft ja nichts. Die Flosse tauchte ein, zwei Mal auf, dann war der Hai aber auch wieder weg.
-Andere würden danach vermutlich nicht mehr so gelassen ins Meer gehen.
Später hatte ich noch viel intensivere Erlebnisse mit Haien. Beim Speerfischen bissen uns die Tigerhaie die Fische von der Harpune, und in Australien habe ich letztes Jahr das erste Mal einen Weißen Hai gesehen. Zum Glück nicht beim Surfen, sondern beim Tauchen, und ich muss zugeben, dass ich das erst einmal verarbeiten musste. Wir gingen zwar zum Tauchen, um Haie zu sehen. Aber die Situation war mir so fremd: Das Wasser ist kalt, du siehst auch nicht wirklich weit, und dann taucht in Zeitlupe ein Schatten auf, so groß wie der Tresen in einer Bar. Eine Woche später rammte ein Hai einen Kumpel von mir von unten, er flog vom Brett, landetet aus purem Zufall hinter der Rückenflosse, und da kam der schnappende Hai nicht hin. Wenn du solche Geschichten hörst, jagt dir das schon Schauer über den Rücken. Aber das ist ein Teil des Ozeans. Ich sage ja auch nicht, ich fahre nicht mehr auf der Autobahn, weil ich Angst vor einem bestimmten Automodell habe. Die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls ist ja echt gering – und den Unfall mit genau dem Fabrikat zu haben, noch geringer.
-Doch wie steht es um die Angst? Die kann ja nicht jedes Mal mitsurfen. Ist es denn so leicht, sie einfach auszublenden, täglich?
Ich habe Angst vor Schlangen, Spinnen, habe Höhenangst und davor, dass meiner Familie was passiert. Ich weiß es nicht genau, aber ich glaube, man entscheidet selbst, vor was man Angst hat. Das Gehirn unterscheidet da wohl und trennt zwischen reeller Gefahr und fiktionaler Gefahr. Wenn ich ungesichert in Felsen klettere, weiß ich, ein Fehler und ich stürze in den Tod. Reelle Gefahr. Hänge ich an einem Seil, kann ich stürzen, aber wenn das Material was taugt, passiert nichts Großes. Die Gefahr, abzustürzen ist also eine Fiktion. Manche Menschen haben davor trotzdem Angst, weil ihr Gehirn diese Entscheidung so trifft. Ich denke, bei mir ist die Angst, die mit Wasser zu tun hat, nicht ausgeprägt. Ich habe Angst vor Dingen, die ich nicht kontrollieren kann. Wie eine Schlange zum Beispiel, die bewegt sich . . . eklig, schnell – die behagt mir einfach nicht.
-Einen Hai hat man doch auch nicht unter Kontrolle.
Aber ich kann mich im Wasser von meinen Ängsten befreien. Auch, wenn ich von einer Welle überrollt werde, das ist ja auch kein Spaß. Eine Welle kann mich ertränken, ewig runterdrücken, gegen einen Felsen schleudern, mir das Genick brechen – aber da schützt mich diese natürliche Verbundenheit, die ich mit dem Wasser habe. Erwischt mich eine Welle, forme ich meinen Körper zu einer Kugel, Arme und Beine eng angelegt, und dann denke ich an was Schönes, so lange es dauert, bis ich wieder oben bin. Gegen die Kraft einer Welle kann man sich nicht wehren, da verliert man immer.
Ich habe beim Apnoetauchen Techniken gelernt, den Atemreflex zu unterdrücken. Theoretisch kann ich die Luft anhalten, bis ich bewusstlos bin.
-Kennen Sie eigentlich den Eisbach in München – schon mal da gesurft?
Da habe ich schon mal gesurft, tatsächlich. Vor zwei Jahren im Sommer. Ich finde den cool. Und am Flughafen in München habe ich mal bei einem Wettbewerb mitgemacht. Das fand ich sogar noch geiler als den Eisbach. Ist wärmer – und man fällt weich (grinst).