Bauernverband kämpft gegen Surf- und Freizeitpark in Regensdorf ZH - Blick

2022-06-10 21:31:39 By : Mr. jack wang

Surfer und Bauern kommen sich selten in die Quere. Der Surfer ist im Meer, der Bauer an Land. Nun treffen sie aufeinander. Auf einem Acker. In der Schweiz. In Regensdorf ZH wollen Surfer einen Wellenpark bauen. Also einen See anlegen, über den künstliche Wellen rollen. Es wäre ein bisschen Meer im Kanton Zürich. Mehr als 200'000 Besucher sollen jährlich kommen. Noch hängt Nebel über dem Feld. Alles ist ruhig, bis auf einen aufgescheuchten Mäusebussard. Aber auch den verschluckt der Nebel rasch. Beginnen wir also anderswo, mit einer verrückten Geschichte: Pascal Brotzer, Fussball-Nachwuchstalent beim FC St. Gallen. Es ist das Jahr 2007. Brotzer ist verletzt und reist ans Meer. Fuerteventura! Er probiert das Surfen aus und kann es kaum fassen: Die Glücksgefühle, die das Gleiten auf der Welle in ihm auslöst – unbeschreiblich.

Zurück in der Schweiz, weiss der Fussballer: Er ist zum Surfer geworden. Er, der auf dem Fussballplatz zu Hause war, will nun, was es in seiner Heimat nicht gibt: Wellen. Es ist die Kühnheit der Jugend, die ihn sofort zum Telefon greifen und eine spanische Firma anrufen lässt, die Wellenanlagen baut. Danach sucht Brotzer über eine Facebook-Gruppe Verbündete und findet sie leicht. Sie sprechen beim Zürcher Baudirektor Markus Kägi vor. Der findet die Idee genial. Sagt aber auch: «Belegt das Bedürfnis.» Anders formuliert: Beweist, dass es im Binnenland Schweiz Surfer gibt, die ein künstliches Meer nutzen würden.

Der damals 23-jährige Brotzer nimmt die Herausforderung an. Er lanciert ein Surfmagazin. 2014 gründet er den Verein waveup und dann auch eine Kommunikationsagentur, die das Surfen in der Schweiz bekannter machen will. Vier Jahre später ist er Mitgründer der waveup creations AG, die Trägerin und Bauherrin des Projekts ist. Brotzers Laune ist immer gut, seine Vision ansteckend. Und wenn ihn jemand fragt, wie es ihm geht, redet er vom Freizeit- und Surfpark.

Über 1000 Mitglieder hat der Schweizer Surfverein bald. Das Projekt nimmt Fahrt auf und immer mehr Gestalt an. Standorte werden geprüft und wieder verworfen, Regensdorf erscheint als geeignet, Behördentermin um Behördentermin. 2016 die Einwilligung Regensdorfs, das Projekt weiterzuverfolgen, 2017 ein erfolgreiches Crowdfunding. Die Eigentümer des Bodens erklären sich bereit, über einen 50-jährigen Baurechtsvertrag zu verhandeln. Es ist ein wilder Ritt für Brotzer. Immer wieder Erfolge, stets neue Hürden. Er selbst ständig unterwegs, immer auf der Suche nach Menschen, die mitziehen, den Traum teilen. Zeit für eine Freundin bleibt nicht. Grosse Firmen engagieren sich.

Aus der künstlichen Welle wird im Lauf der Jahre ein 6,1 Hektar grosser Erholungspark, mit einem 160 Meter langen Surfsee. Es gibt Beachvolleyballfelder, eine Skateranlage. Es kann geklettert, gefittet und Yoga gemacht werden, natürlich fehlt auch das Gastroangebot nicht. Brotzers Idee ist nun ein zweistelliges Millionenprojekt. Im Sommer 2018 sitzt er nach langer Zeit wieder einmal bei seinen Eltern am Tisch. Plötzlich kann er nicht mehr sprechen, wird ohnmächtig, kommt wieder zu sich, steht auf, und die Beine versagen. Notaufnahme. Brotzer ist 29 Jahre alt. Die Ärztin sagt: Wir müssen gar nicht erst darüber diskutieren, ob das ein Burn-out ist.

Im Nebel auf dem Regensdorfer Acker klaubt ein Mann nach einer Handvoll Erde. Ein Kubikmeter gesunder Erde enthält 100 Regenwürmer. Aber auch noch 30 Hundertfüsser, 30 Asseln, 50 Spinnen, 50 Schnecken, 100 Zweiflüglerlarven, 100 Käfer, 100 Doppelfüsser, 30'000 Weisswürmer, 50'000 Springschwänze, 70'000 Milben, 10'000 Rädertierchen, 1 Million Fadenwürmer und ebenso viele Wimperntierchen, 10 Millionen Wurzelfüsser und 100 Millionen Geisseltierchen, 100 Millionen Algen, 100 Milliarden Pilze, 10 Billionen Strahlenpilze und 100 Billionen Bakterien. Da herrscht also buntes Treiben in dem, was in den Händen des Bauers wie Dreck aussieht. Es ist die Basis allen Lebens.

Der Mann mit der Erde in der Hand heisst Ferdi Hodel (56). Er ist Agronom und Chef des Bauernverbands Zürich. Er kennt sich mit Yoga und Wellen nicht aus, mit künstlichen schon gar nicht. Seine Welt ist das, was schon immer war. Was immer bleiben wird. Säen und ernten.

16 Wochen ist Pascal Brotzer in der Klinik. Heute versteht er: Dieser fiebrige Zustand der ständigen Überforderung und Anspannung fühlte sich gut an und verlieh ihm Energie. Auf Dauer aber schafft das kein Körper. «Dieser Druck, dass ich verantwortlich bin. Es kein Scheitern gibt. Ich immer Mister Sunshine sein und für alles eine Lösung haben muss, das war zu viel.» Frage ihn heute jemand, ob er gesund sei, antwortet er: «Es ist wie bei einem trockenen Alkoholiker.» Er tendiere mit seiner euphorischen Art dazu, wieder in diesen fiebrigen Zustand hineinzuschlittern. Brotzer achtet deshalb heute genau auf seinen Energiehaushalt. Er ist ausserdem von Zürich nach St. Gallen gezogen, in seine Heimat also. «Dort bin ich einfach der Pascal, nicht der Freizeit- und Surfpark.» Auch die Liebe hat ihn gefunden. Auf eine seltsame Weise sei er dankbar für diesen Zusammenbruch. Es hat ihn nachdenken lassen. Über die Wellen? «Meinen Traum aufzugeben, stand nie zur Diskussion.» Das achtköpfige Kernteam hinter dem Surfpark arbeitete weiter, als Brotzer in der Klinik war. Immer weiter in Richtung Zielgerade.

Im Frühling 2019 stimmte Regensdorf der Umzonung des Wisachers von der Landwirtschaftszone zur Sport- und Erholungszone klar zu. Im Frühling 2021 gibt auch der Kanton grünes Licht. Ein Meilenstein! Den Schweizer Surfern wird mitgeteilt, dass schon 2023 die Bagger auffahren könnten. 2024 der Surfpark öffnet. Brotzer ist sicher: «Jeder, der unseren Freizeit- und Surfpark besuchen kommt, hat nachher ein riesengrosses Grinsen auf dem Gesicht.» Er wolle mit Bildungsprojekten im Park Jugendliche für den Umweltschutz sensibilisieren, Biodiversitätsflächen würden geschaffen für Kleinstlebewesen. Bestehende Naherholungsgebiete, wie der Katzensee, entlastet. Brotzer sagt: «Ich habe das Gefühl, dass ich etwas Gutes tue, und möchte den Regensdorfern etwas zurückgeben.» Namhafte Leute aus der Wirtschaft stellen sich nun hinter das visionäre Projekt. Das Baugesuch wird vorbereitet. Im Herbst 2021 reicht ein Landwirt, dessen Acker an den Surfpark grenzt, Rekurs ein.

Ferdi Hodel steht auf dem Acker, weil der Bauer mit dem Rekurs nicht öffentlich auftreten will. Der Zürcher Bauernverband aber zu hundert Prozent hinter diesem Landwirt steht. Hodel findet «so einen Acker» wunderschön und voller Leben. Mit Sicherheit schöner als «so eine Betonwüste». Betonwüste nennt Hodel den Surfpark. Warum der Rekurs? «Es liegt nicht am Bauernverband zu urteilen, ob die Gesellschaft so einen energieverschlingenden Wavepark braucht», sagt er. Aber: «Das hier ist der denkbar schlechteste Standort dafür.» Der Surfpark würde auf den besten Böden realisiert, die es in der Landwirtschaft überhaupt gibt.

(Kleiner Exkurs: Böden werden in Nutzungseignungsklassen eingeteilt, dabei gelten die Klassen eins bis sechs als besonders wertvolle Fruchtfolge- oder Ackerflächen).

70 Prozent des künftigen Parks, so Hodel, stünden auf Boden der Klasse eins, also auf dem allerbesten Ackerland. Kompensiert werde zumindest ein Teil davon mit minderwertigem Boden. Das bedeutet mit Boden, der natürlicherweise nicht der Qualitätsklasse eins entspricht. Heisst konkret: Minderwertiger Boden muss auf künstliche Weise aufgewertet werden. «An einen natürlich gewachsenen Boden wird solch ein künstlich aufgewerteter Acker nie herankommen», sagt Hodel. Und der kleine Teil der Ackerfläche im Wisacher, der schon heute Sport- und Erholungszone ist, sei explizit für Breitensport reserviert. Breitensport ist für Hodel: Turnen oder Fussball. Nicht Surfen. «Wir würden uns auch gegen einen Golfplatz wehren.»

Die Bauern hätten nun mal einen in der Bundesverfassung verankerten Leistungsauftrag. «Wir müssen mindestens 50 Prozent der Nahrungsmittel für die Schweizer Bevölkerung produzieren. Dafür brauchen wir Ackerland. Und dafür brauchen wir genau diese guten Böden.» Dann sagt er auch noch: «Wir müssen solch wertvolles Ackerland für unsere Nachkommen bewahren.»

Hodel und Brotzer trennt vieles. Der Hang zum Pathos verbindet sie.

Treten wir einen Schritt zurück, um klarer zu sehen. Hier die Surfer. Sie wollen Wellenreiten nach Feierabend, jungen Menschen sinnvolle Sport- und Freizeitbeschäftigung ermöglichen, mit ihrem Projekt Schülerinnen für Ökologie und Biodiversität sensibilisieren – und verbauen dafür Ackerfläche. Da die Bauern. Sie produzieren Nahrungsmittel.

Nun, Ferdi Hodel wirkt etwas altmodisch mit seinem Acker, wenn man ihn Pascal Brotzer und dessen 160 Meter langem Surfsee mit Skateranlage und Boulderwand gegenüberstellt.

Die Frage ist: Wer von beiden weist tatsächlich in die Zukunft?

In Regensdorf werden das die Richter entscheiden. Mit Sicherheit gesagt werden kann darum abschliessend nur: Der Winterweizen wächst, wird geerntet und irgendwann mit Wasser und Salz zu Brot – und Pascal Brotzer im Frühling zum ersten Mal Vater.